Die Trauerphasen

Trauerphasen und Trauermodelle

Über Trauerphasen gibt es immer mehr Modelle, die versuchen, den Trauerprozess zu verstehen und zu erklären. Verschiedene sozialwissenschaftliche, psychotherapeutische Ansätze sowie viele Heilpraktiker und Trauerbegleiter bemühen sich, Trauernden in einer Zeit schwerer emotionaler Belastung zur Seite zu stehen. Das Ziel ist dabei immer dasselbe: Wieder einen Weg finden in ein freies, selbstbestimmtes Leben. Gleichzeitig soll der Hinterbliebene mit dem Verstorbenen aber in liebevoller Verbindung bleiben. Wir möchten Ihnen hier ein paar wertvolle Modelle der letzten Jahre vorstellen.

Fröhliches Kaleidoskop aus sehr vielen Sonnenblumen vor einem hellblauen Himmel
Das Kaleidoskop-Modell von Chris Paul ist nicht linear

Das Kaleidoskop-Modell von Chris Paul

Einen komplexen Ansatz der Trauerverarbeitung stellt Chris Paul dar. Die Verhaltenswissenschaftlerin und Heilpraktikerin geht dabei von einer nicht linearen Bearbeitung der Trauer aus und setzt sich damit von den bisherigen Modellen der Trauerphasen ab. Sie beschreibt Trauer als eine Art Marathon in einem Irrgarten. Chris Paul teilt die Trauerzeit nicht in aufeinander folgende Phasen ein, sondern in unterschiedliche Teilaspekte des Gesamtprozesses „Trauern“. Diesen Gesamtprozess nennt sie „Das Kaleidoskop des Trauerns“. Dabei kann, wie bei einem Kaleidoskop das man in der Hand dreht, immer wieder eine Facette eine größere Rolle spielen als ein anderes. So wechseln sich beim Trauern die verschiedenen Elemente in ihrer Intensität miteinander ab, ohne jeweils ganz zu verschwinden.  Welches Element jeweils in den Vordergrund drängt, hängt sowohl von der individuellen Persönlichkeit wie auch vom zeitlichen Abstand zum Verlust ab.  Das sind die Facetten, aus denen sich das Kaleidoskop zusammensetzt:

 

Die Facetten des Kaleidoskops

1.      Die orange Facette – das Überleben:

Befindet sich der Trauernde in diesem Modus, versucht er ausschließlich in der neuen Wirklichkeit zu überleben. Es findet keine Auseinandersetzung mit dem Tod statt, sondern nur pures Funktionieren und Überstehen der nächsten Stunde, des nächsten Tages. Chris Paul nennt die Überlebensstrategie auch die“ Ausruhphase von den anderen Facetten“.

2.      Die dunkelgraue Facette – die Wirklichkeit:

Die Farbe dunkelgrau zeigt schon an, dass es sich hier um ein sehr forderndes Element handelt. Dabei geht es um das Realisieren des Todes. Ist ein geliebter Mensch gestorben, ist das eine endgültige unumkehrbare Tatsache. Sich dieser Endgültigkeit bewusst zu werden bedeutet harte Arbeit. Vielleicht auch, weil damit die nicht lösbare Frage: „Was kommt danach?“ verbunden ist. Eine gute Möglichkeit der Verarbeitung für viele Trauernden ist es, immer wieder vom Tod reden und vielleicht auch den toten Menschen sehen und berühren zu können.

3.      Die rosarote Facette – die Gefühle:

Diese Facette steht für eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Trauer. Hier verarbeitet der Trauernde alle Arten von Gefühlen, die er mit dem Verstorbenen assoziiert. Dabei ist das Spektrum groß und reicht von Liebe, Dankbarkeit und Sehnsucht bis zu Wut, Verzweiflung und Neid. Die Gefühle können so stark empfunden werden, dass sie sich auch körperlich in rasenden Herzschmerzen, Kopfweh oder Bauchschmerzen ausdrücken.

4.      Die grüne Facette – das Sich-Anpassen:

Grün steht für die Umwelt des Trauernden, die nun auf eine ganz neue Art und Weise auf ihn einwirkt. Aufgaben und Rollen innerhalb einer Familie können sich verschieben. Arbeitskollegen kondolieren. Nachbarn tuscheln. Trauernde sind gezwungen, sich an diese neue Situation anzupassen.

5.      Die gelbe Facette – die innere Verbundenheit:

Diese Farbe ist ein Sinnbild für den Sonnenstrahl, den Trauernde so dringend benötigen. Sie zeigt die Verbundenheit, die Trauernde auch über den Tod hinaus mit dem Verstorbenen fühlen können. Die Einen finden sie in Träumen, die von dem Verstorbenen handeln, Andere in Alltags-Gegebenheiten, in denen sie den Verstorbenen entdecken. Offenbart sich Trauernden diese positive, stärkende Verbundenheit, kann das wie eine „Rückversicherung“ auf das eigene Leben wirken und den Hinterbliebenen die Kraft geben, wieder offen und frei die Zukunft zu gestalten.

6.      Die blaue Facette  – das Einordnen:

Der Tod eines nahen Menschen stellt alle bisherigen Grundüberzeugungen in Frage. Eine Neubewertung der Vergangenheit muss nun aus einer anderen Perspektive heraus erfolgen. Das sind schwierig zu lösende Fragen, die viel Kraft kosten. Es ist eine lange Suche nach Antworten und neuem Lebenssinn.

Während der Trauerverarbeitung – von der ersten Stunde bis hin zu vielen Jahren später – wechseln sich die einzelnen Facetten ständig untereinander ab. Trauernde können und sollen sich bei der Verarbeitung Unterstützung holen von der Familie, Freunden oder auch professionellen Unterstützern wie Trauerbegleitern, Hausärzten, Psychotherapeuten. Diese können – ähnlich wie bei einem Marathonlauf – als „Versorgungsstationen“ agieren und stärken, aufrichten und immer wieder Halt geben. Den Marathon laufen müssen die Trauernde allerdings selbst. Das Ziel ist, wieder ein optimistisches, frohes Leben führen zu können und gleichzeitig mit dem Verstorbenen in positiver Weise verbunden zu bleiben.

buntes Kaleidoskop mit vielen leuchtenden Farben
Viele Facetten vermischen sich im Trauerprozess immer wieder neu
Buntes Aquarell eines Mädchenkopfes
Verschiedene Trauerphasen führen wieder zurück ins Leben

Das Trauerphasenmodell nach Verena Kast

Schon in den 1980er Jahren entwickelte  Verena Kast ein Modell über die verschiedenen Phasen von Trauer. Demnach durchläuft jeder Mensch nach dem Verlust eines geliebten Menschen verschiedene Phasen der Trauer. Diese Phasen können sich zwar von Mensch zu Mensch in ihrer Intensität und Dauer voneinander unterscheiden. Insgesamt kann das Abschied nehmen von einem Verstorbenen aber erst nach dem Durchlaufen der einzelnen Stufen emotional beendet werden. Erst danach kann sich der Trauernde wieder neu dem Leben zuwenden kann.

Erste Trauerphase

In der ersten Trauerphase herrscht das Entsetzen und die Ohnmacht über den Verlust eines geliebten Menschen vor. Je überraschender der Tod eingetreten ist, umso länger dauert diese Phase der „Schockstarre“ an. Die Gefühle, die auf den verlassenen Menschen einströmen, sind sehr stark. Die Gedanken drehen sich nur um Tod, Sterben, Verzweiflung. Kast beschreibt, dass in dieser Phase der Tod, selbst nach der miterlebten Bestattung, geleugnet wird.

Zweite Trauerphase

In der zweiten Trauerphase brechen viele neue Emotionen auf. Von Zorn über Angst zur Wut können alle Gefühle auftauchen. Oft wird nach einem Schuldigen gesucht, dem man die Verantwortung für den Tod der so schmerzlich vermissten Person geben kann. Schlafstörungen zeigen, wie sehr die Trauernden in dieser Zeit auf der Suche nach Antworten für unbeantwortbare Fragen sind. Diese Welle der Emotionen nimmt einige Zeit in Anspruch, denn sie ist ein sehr intensiver Abschnitt in der Trauerzeit. Manchmal wird die Trauer aber auch so sehr verdrängt, dass eine Aufarbeitung gar nicht möglich ist und der Trauernde seinen Weg in die nächste Phase nicht fortsetzen kann.

Dritte Trauerphase

Die dritte Trauerphase ist gekennzeichnet vom Suchen und Finden. Einerseits werden Orte und Gegebenheiten aufgesucht, die den Trauernden mit dem Verstorbenen in irgendeiner Art verbindet. Auch Gegenstände, die der geliebte Mensch gerne um sich gehabt hat, werden immer wieder betrachtet und in die Hand genommen. Dadurch aber beginnt langsam ein Prozess des Sich-Lösen-Könnens. Denn der Trauernde wird sich bewusst, dass die Realität sich verändert hat und eine für ihn wichtige Person nie wieder da sein wird. Das Verhältnis zu dem Verstorbenen kann sich dahingehend verändern, dass er als ständiger „innerer Begleiter“ bei dem Trauernden ist. Das Gefühl der „inneren Begleitung“ kann helfen, die Trauer ein Stück weit zu überwinden und in die nächste Phase einzutreten.

Vierte Trauerphase

Die Trauerphase vier bedeutet einen Wendepunkt. Hat sich der Trauernde so weit mit dem Tod und dem Sterben auseinandergesetzt, kann er ihn nun als integralen Bestandteil des Lebens akzeptieren. Damit öffnet sich der Weg wieder zu neuen Möglichkeiten, neuen Erfahrungen und vielleicht sogar neuen Lebensentwürfen.

Erstes Verständnis für den Umgang mit dem Tod

Den ersten Schritt, sich mit den verschiedenen Phasen des Sterbens und des Todes bzw. der Trauer aktiv auseinander zu setzen, unternahm in den 1940er Jahren die schweizerische Sterbe-Forscherin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross. Als Ärztin war sie im Krankenhaus oft mit der Situation konfrontiert, einen Patienten zu verlieren. Sie teilte aus ihren Beobachtungen heraus den Sterbeprozoss in ein Phasenmodell mit fünf Stadien ein. Dabei ging sie davon aus, dass alle Menschen im Prinzip die gleichen Entwicklungen durchleben müssen, wenn sie an einer letalen Krankheit leiden. Elisabeth Kübler-Ross gilt als eine der Begründerinnen von Sterbe- und Trauerforschung.

Blick von unten im Wald in den Himmel
Der Tod ist nur ein Übergang in eine andere Welt